Leo Seidl – Gründer der Theatergruppe Friesenberg

Den Grundstein für die Theatergruppe Friesenberg legte 1946 Leo Seidl, als er mit 40 Jahren seine eigene Theatergruppe gründete. Seine Begeisterung fürs Theater fand Seidl aber bereits in seiner Jugendzeit. Ein Blick auf sein Leben.

Die ersten Jahre

Leo Seidl, Gründer der Theatergruppe Friesenberg

Leonhard Alois Seidl kam am 27. Januar 1906 in Zürich auf die Welt. Sein Vater Anton Seidl (* 10.12.1871; † 22.05.1915) war von München in die Schweiz emigriert und gelernter Schriftsetzer und Buchdrucker. Auch die Wurzeln seiner Mutter Maria Sophie Protzer (* 15.04.1875; † 05.08.1956) liegen in Deutschland. Ihre Eltern waren aus Steinkirch, dem heutigen Braunsbach im Landkreis Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg, in die Schweiz zugewandert.

Anton Seidl und Maria Sophie Protzer hatten drei Kinder. Karl Anton (* 03.09.1898; † 28.09.1927), Rosa Margareta (* 23.03.1901; † 27.04.1979) und Leonhard Alois (* 27.01.1906; † 11.02.1969), kurz Leo Seidl.

Bis 1908 wohnte die Familie in Zürich und erlangte im gleichen Jahr durch Einbürgerung den Schweizer Pass und das Bürgerrecht von Zürich. Danach übersiedelten sie nach Dietikon (ZH) und 1912 nach Neukirch (TG), wo Leo Seidls Vater eine eigene Druckerei eröffnete. Der Betrieb lief ausgezeichnet, bis 1914 der Erste Weltkrieg die Schweizer Soldaten an die Grenze forderte. Während dieser Grenzbesetzung erkrankte der Vater schwer an Grippe und verstarb im jungen Alter von 44 Jahren.

Die Mutter Sophie musste daraufhin die Druckerei verkaufen und zog mit ihren drei Kindern nach Arbon, wo ihr ältester Sohn Karl eine Berufslehre bei der Firma Saurer absolvierte. Damit konnte wenigstens ein Sohn etwas zum Familienunterhalt beitragen. Auch die Tochter Rosa konnte eine Lehre machen und erlernte den Beruf der Weissnäherin.

Doch 1921 traf es die Familie erneut hart. Karl und Rosa wurden in den Krisenjahren nach dem Krieg arbeitslos und die Mutter musste wieder allein für den Unterhalt der Familie aufkommen und, als ebenfalls gelernte Weissnäherin, die Familie über die Runden bringen. Später fand Karl eine Arbeitsstelle bei Escher-Wyss in Zürich, und so zog die Familie zurück in die Stadt.

Leo Seidl fand hier eine Lehrstelle bei der Firma Schwabenland, einem Herstellungs- und Vertriebsbetrieb von Artikeln für Konditoreien und Hotelküchen, der bis 1994 existierte. Doch das Erlernen eines Berufes war zur damaligen Zeit eine finanzielle Belastung. Die Lehrlinge bekamen keinen Lohn, sondern mussten im Gegenteil dem Arbeitgeber und Lehrmeister noch ein Lehrgeld bezahlen.

Auswandern nach Brasilien

Um der schier unlösbaren Situation zu entkommen, beschloss die Familie, auszuwandern. Nord- und vor allem Südamerika lockten mit Arbeit in Hülle und Fülle, und in Zürich erinnerte sie alles nur immer an ihren verstorbenen Mann und Vater, weshalb ein Neuanfang an unbekanntem Ort vielleicht nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine emotionale Besserung bringen sollte.

Nachdem in der Schweiz der gemeinsame Haushalt aufgelöst worden war, reisten Sophie, Rosa, Karl und Leo am 22. Juni 1922 per Bahn von Zürich nach Bremen. Das spärliche mitgeführte Hab und Gut war in einem Überseekoffer verstaut. Hier gingen sie am 24. Juni an Bord des Dampfers Köln, wo sie ihre 28-tägige Überfahrt nach São Francisco do Sul in Brasilien antraten. Ein wahrlich tollkühnes Unternehmen, kannte man doch weder Land noch Leute, hatte keinerlei Ansprechperson in Brasilien und keiner von ihnen sprach portugiesisch.

Das „Häuschen im Grünen“ in Joinville (vorne Rosa, dahinter Karl, im Fenster Mutter Sophie).

Angekommen in Brasilien ging die Reise auf dem Land weiter nach Joinville, einer ganz kleinen aufstrebenden Stadt, die vor allem von Deutschen besiedelt war. Hier konnte sich die Familie in relativ kurzer Zeit in ein „Häuschen im Grünen“ einmieten, da alle drei Kinder am dritten Tag nach der Ankunft in Joinville bereits feste Arbeit gefunden hatten. Rosa arbeitete wiederum als Weissnäherin, die beiden Söhne in einer Schreinerei. Für Leo Seidl aber war diese Arbeit auf die Dauer körperlich zu streng, worauf ihn seine Mutter kurzerhand in eine Berufslehre steckte.

Hier traf Leo Seidl auf den nach dem Ersten Weltkrieg übersielten deutschen Schauspieler Reichlinger, der sich in Brasilien eine neue Existenz aufbaute und den damals 16-jährigen Leo in eine kaufmännische Lehre in seinem Eisenwaren- und Haushaltsgeschäft nahm.

Mit dem Schauspielerberuf war es für Reichlinger vorbei, aber auch als Ladenbesitzer war ihm die fanatische Liebe zu allem, was Theater heisst, geblieben. Kein Wunder also, dass, kaum hatte er sich durch seinen Laden wieder eine feste Grundlage geschaffen, er auch einen Theaterverein gründete. Dank Reichlingers Begabung als Regisseur und als Schauspieler erfreute sich diese Volksbühne bald eines aussergewöhnlichen Zulaufs. Und so stand es in den Sternen geschrieben, dass Leo Seidl früher oder später ebenfalls Bekanntschaft mit diesem Theaterverein machen würde.

Eines Abends rief ihn der alte Reichlinger zu sich und sagte ihm, dass er in seinem Theaterverein ein Stück zum Einstudieren habe, in dem er so einen Lausejungen wie Leo gut verwenden könnte. So bekam Leo Seidl seine erste Rolle, lernte rasch seine wenigen Sätze und ging fortan regelmässig zur Probe. Reichlinger lauschte, beobachtete und korrigierte, und seinen Anordnungen und Ratschlägen folgte das ganze Ensemble jeweils widerspruchslos, denn Reichlinger verstand es, jeden Einzelnen zu leiten und genau dorthin zu bringen, wo er richtig stand.

Der Funke war entzündet, und mit jeder neuen Rolle, die Leo Seidl von Reichlinger bekam, wuchs die Begeisterung.

Über diese sehr spannende Zeit mit Reichlinger hat Leo Seidl einige Jahre später einen Text verfasst, der am 25. März 1966 anlässlich des damals 20-jährigen Jubiläums der Theatergruppe Friesenberg in der Zeitung abgedruckt wurde. Hier erzählt er sehr eindrücklich und fesselnd von den Proben und den Gastspielen im Urwald und davon, wie dankbar er dem alten Reichlinger war, dass dieser in ihm „schon in jungen Jahren die Flamme der Begeisterung zum Volkstheater angefacht hat“.

Zurück zur Familie Seidl. Später brach in São Paulo die Revolution aus, wodurch die ganze Industrie lahmgelegt wurde, weshalb die Familie nach Rio de Janeiro übersiedelte, nicht zuletzt aus sicherheitspolitischen Gründen. Die Kinder fanden auch hier rasch wieder Arbeit und auch die Mutter Sophie konnte mit ihrer aus der Schweiz mitgebrachten Nähmaschine Arbeiten erledigen. Wirtschaftlich ging es der Familie hier gut.

Doch erneut sammelte sich Unheil über den Köpfen der Familie in Rio de Janeiro: Karl, der älteste Sohn, wurde krank, sehr krank. Lungentuberkulose, wahrscheinlich gepaart mit Malaria, war die Diagnose der Ärzte, was schon fast einem Todesurteil gleichkam. Es wurde dringend zu einem „Kuraufenthalt“ zu Hause in der Schweiz geraten. So reiste Karl, krank wie er war, allein nach Zürich zurück. Am 28. September 1927 erlag er seiner schweren Krankheit, fernab von seiner Familie.

Jetzt erkrankte auch noch Rosa an Malaria. Nun hielt die Familie nichts mehr in Brasilien. Nach sechs Jahren trat sie im August 1928 mit dem Postdampfer Cap Norte die lange Heimreise nach Europa an.

Doch auch diese Überfahrt brachte Sorgen: Leo Seidl erkrankte auf dem Schiff an Typhus. Wäre dies publik geworden, hätten die Hafenbehörden das ganze Schiff in Hamburg unter Quarantäne gestellt und kein Passagier oder Besatzungsmitglied hätte das Schiff verlassen dürfen. Doch dieses Risiko konnte und wollte der Kapitän nicht eingehen. So wurde Leo auf dem Schiff isoliert und in Hamburg unter gütiger Mithilfe des Kapitäns heimlich vom Schiff gebracht. Der damalige Schweizer Konsul in Deutschland hatte dafür gesorgt, dass die Familie schliesslich mit ihrem schwer kranken Sohn per Bahn in einem Schlafwagenabteil nach Zürich reisen konnte. Erst hier brach dann die Krankheit mit aller Heftigkeit aus, so dass Leo Seidl ins Spital überführt werden musste.

Zurück in der Schweiz

Mutter Sophie und die beiden Kinder Rosa und Leo wohnten anfänglich bei einer Schwester von Sophie in Zürich.

Leo fand bei der damaligen Schweizerischen Kreditanstalt SKA (der heutigen Credit Suisse) eine sichere Anstellung. Leider anerkannte man hier seine Ausbildung und seine in Brasilien erreichte Stellung als Buchhalter nicht an. So wurde er als Ausläufer tätig. Diese Boten der Bank trugen damals schmucke Uniformen und eine Kappe mit goldenen Lettern „SKA“. Sie waren anfänglich mit dem Fahrrad, später dann mit dem Tram per Generalabonnement unterwegs.

Das Theaterleben, so wie es in Brasilien schon gelebt wurde, hatte sich auch in Zürich fortgesetzt. Leo Seidl besuchte hier die Schauspielschule, zusammen mit späteren Theater- und Filmgrössen wie Emil Hegetschweiler und Lukas Ammann.

In seinen jungen Jahren war er Mitglied der „Liebhaberbühne Zürich“. Dort lernte er auch seine zukünftige Frau Anna Beck kennen, die er 1933 heiratete. Aus der Liebhaberbühne ging später der „Dramatische Verein Zürich“ hervor, wo Leo Seidl viele Jahre als Aktuar tätig war. Wären Leo Seidl nicht seine anfällige Gesundheit und seine vielen Sanatorium-Aufenthalte dazwischengekommen, wäre er wohl ebenso ein berühmter Schauspieler geworden, wie die genannten Theater- und Filmgrössen.

Die Familie Seidl 1948. Von links: Rosmary, Anna, Rolf (hinten), Martin (vorne) und Leo Seidl.

Mit seiner Frau Anna (* 23.10.1911; † 22.04.1986) hatte Leo drei Kinder. Rosmary Elisabeth (* 17.04.1934), Rolf Karl (* 09.04.1936) und Martin Peter (* 08.02.1947; † 15.02.2014).

1940 befand sich Europa im Krieg. Leo Seidl, der aufgrund seiner Jahre in Brasilien keine Rekrutenschule durchlaufen hatte, wurde vom Militär ebenfalls eingezogen und zu den Luftschutztruppen eingeteilt. Dabei erkrankte er an Lungentuberkulose und wurde in eine Militärklinik in Novaggio (TI) und später nach Montana im Wallis verlegt. Es ging ihm täglich schlechter und man rechnete mit dem Schlimmsten. Die Ärzte waren mit der Schulmedizin am Ende. Es ist seiner Frau Anna zu verdanken, welche kurzentschlossen mit ihren zwei Kindern ins Wallis zog und selber die Pflege ihres Mannes übernahm. Sie versuchte es mit den Kräften der Natur, worin sie sich auskannte. Mit Hilfe ihrer Kräuter gelang es ihr, Leo wieder auf Seite der Lebenden zu ziehen.

1942 war die Familie wieder in Zürich und Leo Seidl konnte sogar wieder arbeiten gehen, aber so richtig gesund wurde er nicht mehr. Immer wieder musste er Sanatorien wie die Höhenklinik in Clavadel (Davos) und das Sanatorium Altein in Arosa aufsuchen. Doch die Welt schien wieder in Ordnung zu sein und die Familie war wieder beisammen. Mit grossem Enthusiasmus widmete sich Leo wieder seinem Hobby, dem Theaterspielen.

Gründung der Theatergruppe Friesenberg

1944 passierte eine einschneidende, aber gute Wendung im Familienleben von Leo und Anna Seidl. Auf Vermittlung und mit Hilfe eines Arbeitskollegen von Leo siedelte die junge Familie in ein Reiheneinfamilienhaus der FGZ im Friesenberg um. Hier wohnten sie fortan im Grünen, in einer Siedlung mit vielen Kindern. Leo Seidl ging es viel besser.

1946 gründete Leo Seidl zusammen mit seiner Frau Anna seine eigene Theatergruppe Friesenberg mit dem Ziel, gutes, lustiges Volkstheater zu bieten.

Recht zaghaft waren die ersten Schritte. Knapp nach dem Zweiten Weltkrieg räumte man dem Schweizer Volkstheater keine grossen Chancen mehr ein. Doch Leo und Anna Seidl liessen sich von der Idee einer Volkstheatergruppe für den Friesenberg und die umliegenden Gebiete nicht abbringen. Schon die erste Vorstellung im Kirchgemeindehaus Friesenberg war ausverkauft. Eine zweite Vorstellung wurde zuversichtlich angesetzt und schlug wiederum ein. Kein Zweifel, diese Aufführungen fanden freudige Zustimmung. Bereits im Herbst des gleichen Jahres wagte sich die Theatergruppe Friesenberg an ein zweites Stück und wiederum fanden die Vorstellungen riesigen Anklang.

Die Theatergruppe war damals noch kein Verein, wie wir ihn heute kennen, sondern eine lose Form der Verbindung. Leo Seidl war nicht nur Präsident, Spielleiter und Regisseur, sondern stand jeweils auch selber als Charakterdarsteller auf der Bühne. In vielen Presse-Artikeln aus der damaligen Zeit wurde er für seine Leistungen wiederholt gewürdigt.

Immer wieder machte Leo Seidls Gesundheit ihm zu schaffen. So erkrankte er 1948 abermals an Lungentuberkulose und musste nach dem Spitalaufenthalt eine lange Zeit nach Clavadel zur Kur. Dieser Kuraufenthalt, und später etliche folgende, prägten fortan das Familienleben.

Doch es ging weiter und Leo Seidl inszenierte Theaterstück für Theaterstück, teilweise sogar mehrere im gleichen Jahr, soweit es seine Gesundheit erlaubte. Bereits 1960, die Theatergruppe existierte nun 14 Jahre, konnte er auf 44 Vorstellungen mit 17 abendfüllenden Stücken zurückblieben. Auch viele Gastspiele gehörten dazu.

Spielen für einen wohltätigen Zweck

Leo Seidls oberste Devise war stets, dass aus den Theateraufführungen samt allem Drum und Dran niemand persönlichen Profit ziehen konnte und sollte. Sämtliche Aufführungen unter ihm waren stets einem gemeinnützigen Zweck gewidmet. So wurden vor allem der Hauspflegedienst im Friesenberg und das Kinderheim Pilgerbrunnen im Kreis 3 berücksichtigt. Hierhin floss dann jeweils der Reingewinn aus den Vorstellungen. Einmal sogar war der Nutzniesser der Zürcher Zoo. Der Erlös reichte für die Spende von einem Pärchen Krontauben, welches an einem Presse-Apéro vom damaligen Zoodirektor Heini Hediger vorgestellt wurde.

Auf dieses gemeinnützige Handeln legte Leo Seidl grossen Wert und wies in einem Artikel der „Schweizerischen Theaterzeitung“ vom Januar 1960 auch mit Nachdruck darauf hin, da seine Theatergruppe in diesem Bereich zu wenig Beachtung fand.

Als die Theatergruppe 1966 ihr 20-jähriges Bestehen feierte, hatte sie in diesen Jahren bereits 30 Stücke aufgeführt und aus dem Reingewinn 13'000 Franken gemeinnützigen Institutionen gespendet. Eine respektable Summe, welche Seidls Theatergruppe viel Ehre brachte. Umso mehr freute man sich damals auf die Jubiläumsaufführung, deren Premiere zugleich die 100. Vorstellung war.

Doch dieser Erfolg sollte nur noch drei Jahre dauern, bis Leo Seidl erneut schwer erkrankte und am 11. Februar 1969 im Alter von 63 Jahren verstarb.

Damit ruhte der Spielbetrieb, fand sich doch zuerst kein Nachfolger, der dieses Erbe hätte weitertragen können. Erst 1976 wurde die Theatergruppe Friesenberg als Verein neu gegründet und konnte rasch an die früheren Erfolge anknüpfen. Das treue Publikum hatte die guten Leistungen der Theatergruppe nicht vergessen. Und so wird Leo Seidls Erbe noch immer aufrechterhalten und die von ihm gegründete Theatergruppe Friesenberg darf mittlerweile ihr 75-jähriges Bestehen feiern.


Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Leo Seidls Sohn, Rolf Seidl, der uns mit seiner von ihm aufwendig recherchierten Familienchronik entscheidend unterstützt und uns daraus umfangreiches Materal zur Verfügung gestellt hat.

 

Leo Seidl beim Dramatischen Verein Zürich

Aus der Familienchronik der Familie Seidl wurde uns das einzige Foto aus Leo Seidls früher Theaterzeit in Zürich zur Verfügung gestellt.

Aufführung von C.A. Bernoullis „Zwingli“ mit Leo Seidl (rechts).

Die Aufnahme stammt mit grosser Wahrscheinlichkeit aus einer Aufführung von C.A. Bernoullis „Zwingli“, offensichtlich einem patriotischen Festspiel zur Feier des 400. Todestages von Ulrich Zwingli (1484 – 1531), dem Zürcher Reformator, im Stadttheater Küsnacht.

In späteren Jahren spielte der Dramatische Verein Zürich regelmässig Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“. Mit dabei als Schauspieler war Leo Seidl. Weitere Bilder sind leider keine mehr vorhanden, eine lustige Anekdote hingegen schon. Leo Seidl erzählte sie seinen Kindern immer wieder, und jedes Mal huschte ein gerechtes Lächeln über seine Gesichtszüge, als wollte er immer und immer wieder sagen: „Geschah ihm recht!“

Die „Tell“-Aufführungen fanden damals, gegen Ende des Krieges und unmittelbar danach, im Stadttheater Zürich, dem heutigen Opernhaus Zürich, statt. In diesen Aufführungen traten auch lebende Pferde auf. Und Pferde müssen ab und zu mal. So auch während besagter Vorstellung. Hermann Kohler (Bild: am Tisch sitzend hinten) führte damals Regie, und er war ein wahrer „Satan“ von Regisseur. Er selber spielte damals den Vogt Gessler. Nun, bekanntlich wird ja bei Schiller dieser Vogt von Tell in der Hohlen Gasse erschossen. So geschehen auch in dieser Aufführung. Als kleine Rache für seine Regie-Schikanierereien legten die Schauspieler den sterbenden Vogt, Hermann Kohler, alias Gessler, mit dem Kopf auf offener Bühne mitten in einen grossen Haufen Pferdeäpfel. Dieser Hermann Kohler konnte sich aber auf offener Bühne nicht zur Wehr setzen, als Gessler war er ja tot.

Hinter der Bühne soll es anschliessend beinahe zum Meuchelmord gekommen sein, so fürchterlich hatte sich Kohler aufgeregt. Die Rache der Schauspieler war aber perfekt!