Erinnerungen von Walter Schmid

Nachdem der Spielbetrieb der Theatergruppe Friesenberg mit dem Tod von Gründer Leo Seidl im Jahr 1969 ruhte, riefen die Initianten Hans Bont, Gusti Kopp und Walter Schmid am 12. März 1976 die TGF wieder neu ins Leben. In diesem Bericht erinnent sich Schmid – 1976 bis 1986 Präsident der TGF – an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und an die Gründungsjahre mit Leo Seidl.

Die ersten Theaterproben

Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Seit ein paar Monaten schwiegen die Waffen. Die Menschheit konnte wieder aufatmen und sich schöneren Dingen zuwenden. So auch in der Schweiz und vor allem in unserem schönen Quartier am Fusse des Uetlibergs.

In diesem Quartier wohnte auch die Familie Seidl. Deren Oberhaupt Leo und seine Gattin Anna waren vom Theaterspielen arg besessen.

Beide waren schon Mitglieder im Dramatischen Verein Zürich, jenem Verein, dem auch der legendäre Beck Zürrer, alias Emil Hegetschweiler angehörte. Leo Seidl strebte jedoch nach Höherem. Er wollte im Friesenberg seine eigene Theatergruppe aufbauen. Die aufstrebende Familienheim-Genossenschaft barg viele Mieterinnen und Mieter, die gerne einmal in einer Theaterrolle auf der Bühne stehen wollten. Leo Seidl, der gleichzeitig Spieler, Spielleiter, Bühnenbildner, Theatercoiffeur und Textbearbeiter war, brachte schon beim ersten Versuch ein Stück auf die Bühne des reformierten Kirchgemeindesaals, das beim zahlreich anwesenden Publikum auf volle Zustimmung stiess. Dieser Erfolg des initiativen und rührigen Leo spornte ihn noch mehr an. So wurde im gleichen Jahr, 1946, der Dreiakter „S‘Mündel“ einstudiert und gleich mit drei Aufführungen unserem Publikum präsentiert.

Über die Benützung des Kirchgemeindesaales musste jeweils mit der Kirchenpflege verhandelt werden. Das ging nicht immer leicht vonstatten. Weil die geplante Kirche noch nicht fertig war, fanden die Gottesdienste am Sonntag in jenem Saal statt. Damit wurde dem Saal eine bestimmte sakrale Bedeutung zugemessen. Die Kirchenpflege wollte deshalb Einsicht in die Textbüchlein nehmen.

Sätze oder Satzteile, die in irgendeiner Form religiöse Gefühle eines Kirchenpflegers tangierten, mussten abgeändert oder herausgestrichen werden. Das erschwerte natürlich auch die Auswahl der Stücke, die wir aufführen wollten. Ein Umstand kam uns aber dabei sehr gelegen: Den Reinerlös unserer Aufführungen stellten wir immer einer wohltätigen Institution zur Verfügung, was die Pflegemitglieder oft versöhnlich stimmte.

Weil uns noch kein Probelokal zur Verfügung stand, wurde wechselweise bei einem Mitglied in dessen Wohnung geprobt. Wohnzimmer wurden umgestellt und zur Bühne umfunktioniert. Die eigenen Kinder wollten sich natürlich diesen Spass nicht entgehen lassen und setzten sich still in eine Ecke, um mit grosser Aufmerksamkeit das Geschehen zu verfolgen.

Probe in der eigenen Stube

Die spätere Erinnerung meiner damals ca. 8-jährigen Tochter Elisabeth gibt einen Einblick in die damalige Situation der Theatergruppe:

Wenn bei uns in der Stube Theaterprobe war, durfte ich immer etwas länger aufbleiben. Mucksmäuschenstill sass ich in der Ecke und schaute fasziniert zu, wie die einzelnen Szenen entstanden und langsam zu einer ganzen Geschichte zusammenwuchsen. Schon nach kurzer Zeit kannte ich alle Texte auswendig, und wir Kinder machten uns jeweils einen Spass daraus, uns gegenseitig das ganze Stück innert kürzester Zeit aufzusagen.

Ende der vierziger Jahre, in den Anfängen der Theatergruppe Friesenberg, musste vieles noch improvisiert werden. Die Begeisterung fürs Spielen war zwar gross, Geld jedoch war keines vorhanden. Wer dabei sein wollte, musste nicht nur seine Texte büffeln, sondern auch „Opfer“ bringen: Weil wir die Bühne jeweils erst kurz vor der Premiere benützen durften, mussten die Wohnstuben als Probelokale dienen.

Auch die Möbel, die für das Stück gebraucht wurden, stammten aus Privatbesitz: Der eine gab vorübergehend sein Sofa her, die andere verzichtete für ein paar Wochen aufs Stubenbuffet. Und ins Kirchgemeindehaus transportiert wurde alles mit einem gewöhnlichen Leiterwägeli, in den Wintermonaten sogar mit einem Schlitten! Stühle und Tische, Geschirr und Blumenvasen, Bilder, Spiegel und Pflanzen – alles wurde von den Spielerinnen und Spielern herangekarrt.

Aber immer rechtzeitig auf die Premiere war alles fixfertig parat, die Texte sassen – fast immer. Hin und wieder gab es sogar einen Auftritt für ein Kind: Ich war furchtbar stolz, als ich als Erstklässlerin im Stück „E gfreuti Abrächnig“ beim Konditor Süessli Guetzli holen durfte – „aber nu vo de billige, mir händ Bsuech!“