„Mietskaserne“, Dialektspiel von Paul Wehrli

Erstaufführung im Zürcher Dialekt der Theatergruppe Friesenberg-Zürich

Ausschnitte aus Presseurteilen:

Als herzhaftes Lachen am letzten Samstag den vollbesetzten Friesenbergsaal unentwegt erfüllte, bei den Aktschlüssen der prasselnde Beifall fast nicht mehr verebben wollte und zuletzt der Autor mit den Mitwirkenden sich auf der blumengeschmückten Bühne verbeugen durfte, da wurde es einem wieder einmal gewiss, dass man nicht einer schlechten, rechten Dilettantenvorstellung, sondern gutem Volkstheater beigewohnt hatte.

Somit erscheint die Bezeichnung „Lustspiel“ unrichtig. Es handelt sich bei dieser „Mietskaserne“ um ein Volksstück besten Schlages. Warum? Weil sein Verfasser kein x-beliebiger Schwankier, sondern ein echter Dichter ist. Paul Wehrli, der – wie man aus seinen „Martin-Wendel“-Geschichten weiss – selber in solchen Mietskasernen einen Teil seiner Jugend verbrachte, weiss genugsam Bescheid um die Probleme, die dieses enge Zusammenleben mit sich bringt. Ob er im knurrigen, im Grund aber herzensguten Pöstler Moser seinen eigenen Vater porträtieren wollte, der selber Briefträger war? Dieser Jakob Moser, eine vollsaftige, mit spürbarem Behagen gespielte Komödiantenfigur, lebt mit seinem Nachbarn, dem Bankangestellten Meier, den der Spielleiter Leo Seidl trefflich zu charakterisieren versteht (ist er doch selbst ein „Bänkler“!), vorübergehend in Fehde. Um diese Zentralgestalten des geschickt aufgebauten, abwechslungsreichen Dreiakters, der mit einer einzigen, aber stilsichern Dekoration (der Firma Albert Isler) auskommt, gruppieren sich die prächtig gezeichneten und warmblütig dargestellten Ehefrauen und Mütter. Über alle Zänkereien ihrer Gesponse hinaus halten sie „wie die Kletten“ zusammen und führen „das böse Ding“ zum guten Ende. (Tagesanzeiger)

Ein fröhliches Theaterspiel. Recht turbulent geht es in der „Mietskaserne“ zu, die Paul Wehrli zwar nicht als Architekt, wohl aber als Dichter errichtet hat. Da leben als Nachbarn zwei Familien, zuerst befreundet, dann verfeindet und endlich wieder befreundet. In einem höheren Stockwerk tobt jeweils ein Bauarbeiter seinen Samstagsrausch aus. Wieder wo anders werkt ein junger, tüchtiger Italiener, der aber im Verlauf der Handlung eines schweren Diebstahls verdächtigt wird. Von ganz unten steigt ein kreuzwortbessener Zigarrenhändler auf den Schauplatz – eine Diele – empor. Dazwischen stiftet, wie das bei einer so vielköpfigen Hausgemeinschaft oft der Fall ist, eine Schneiderin Unfrieden, wo sie nur kann. Und endlich sorgen – neben der sehr sympathischen Gestalt eines gütigen und mutigen Arztes – noch zahlreiche Kinder dafür, dass hier immer etwas „los“ ist, sei es bloss die Freude über gute Noten oder sei es irgendein Schabernack.

Dieses poetisch reizvolle Mundartstück, das in genrehaftem Einfallsreichtum von der feinen Menschenbeobachtung des Zürcher Dichters zeugt, wird nun – mit Wiederholungen am 7., 11., 14. und 15. Oktober – von der Theatergruppe Friesenberg jeweils im neuen Friesenbergsaal aufgeführt. Es liegt nicht nur an der psychologisch einfachen und doch verständnisvoll nuancierten Zeichnung der Charaktere, dass dieses warmherzige Güte ausstrahlende Spiel das Publikum tatsächlich ergreift und ihm gleichzeitig Stunden fröhlicher Entspannung mit viel Lachen schenkt. Auch die Interpreten erheben sich in dieser Aufführung grossteils weit über das bei Dilettanten übliche Niveau. Natürlich findet man auch hier Ansätze zum chargierten Übertreiben und namentlich zum allzu starken Betonen des Possenhaften. Aber der Grundton liegt doch auf einer wohltuenden Natürlichkeit, wie sie auch dem Motiv und seinen Gestalten entspricht. (Neue Zürcher Nachrichten)

... Das Ganze: eine warmherzig gestaltete und erfindungsreiche Komödie von scharfer, realistischer Beobachtungsgabe und humorvoller Charakterisierung menschlicher Eigenarten und Schrullen, wie zum Beispiel im Zigarrenhändler Bleuler, ein buntes Mosaik von Mietern, wie sie nur das Leben selber zusammenmischt. Und sie verleugnet auch diesmal ihren Verfasser keineswegs auch darin, dass durch alles Possenhafte eine positive Lebensgesinnung durchschimmert, der Glaube an die Kräfte des Guten und Wahren, und eine unaufdringliche, sehr diskrete pädagogische Neigung die vielseitig verwobenen Fäden der Handlung lenkt und zum überzeugenden Happy-End hinsteuert. (Die Tat)

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Unsere Leser wurde bereits früher über den Inhalt der „Mietskaserne“ durch den „Dramatischen Wegweiser“ und durch die vorstehenden Presseurteile orientiert. Erfreulich war vor allem die Tatsache, dass bereits an der Premiere Zuschauer den Saal bis zum letzten Platz füllten. Dabei hört man sonst oft Unkenrufe über die schlechten Aussichten der stadtzürcherischen Laienbühnen. Wer interessante und lebendige Stücke gut spielt, hat also immer noch Aussichten auf Erfolg, auch in der grössten Schweizerstadt. Das ist etwas vom Wesentlichsten, was der Besucher zur inneren Befriedigung mitheimnahm. Das Volkstheater steht also auch in Zürich keinesfalls auf verlorenem Posten!

Spielleiter Leo Seidl hat sich mit der Inszenierung recht viel Mühe gegeben. Der Beifall, das Klatschen und Lachen während dem Spiel und die sichtbare Anteilnahme des Publikums am Geschehen in der Mietskaserne mögen ihm den Dank für den Einsatz bedeuten. Es ist ihm gelungen, eine muntere, mit Spannung geladene Inszenierung durchzuführen. Vor allem wirkte das Mitspielen der Schüler frisch und lebendig. Die Jugend gibt sich unbeschwert und ihre Natürlichkeit dringt in die Herzen der erwachsenen Zuschauer. Die Mischung von jung und alt, die ihre Tücken hat, ist Leo Seidl gut gelungen. „Mietskaserne“ stellt an die Laienspieler und Laienregisseure grosse Anforderungen. Dass man im letzten Akt die Spieler auf der etwas überladenen Bühne nicht immer wunschgemäss meistern konnte, ist ein kleiner Nachteil, den man im Hinblick auf die treffliche Gesamtleistung gerne hinnimmt. Diese Schwierigkeiten zeigen erneut: Auch beim Theaterspielen lernt man nie aus. Immer wieder müssen andere Inszenierungen und Ausbildungskurse besucht werden.

Der übliche Hock nach der Darstellung war hier ein besonderes Bedürfnis. Der Verfasser Paul Wehrli ist ein gefühlsvoller Mensch, das spürt man aus seinen Stücken, seinen Erzählungen und Romanen. In seiner fröhlichen Tischrede erklärte er sich von der Aufführung und der Inszenierung angenehm überrascht. Der Autor, so führte er u.a. aus, hat eine bestimmte Vorstellung vom Spiel. Die Friesenberger sind dieser Vorstellung recht nahe gekommen. Die Spieler wurden während der Premiere, die für sie ja besonders heikel ist, zusehends besser. Mit Recht konnte der Verfasser eine Überraschung, die ihm an sich unbedeutende Textänderungen bereiteten, nicht ganz unterdrücken. In seiner lieben Art sprach er humorvoll von einem „zweiten Autoren“. Paul Wehrli ist ein Theatermann von Fleisch und Blut und noch heute hat er als Sekretär des Stadttheaters täglich mit der Bühne und den Schauspielern, den Aufführungen und dem ganzen Drum und Dran zu tun. Er hat deshalb jeden Satz, jeden Ausruf mit der ihm eigenen Menschlichkeit, aber auch mit der Kenntnis der Bühnenverhältnisse und der Theaterwirkung geschrieben. Berücksichtigt man dies alles, so muss man auch mit kleinen Änderungen vorsichtig sein und man darf mit einem so verständigen Verfasser, wie P. Wehrli erfreulicherweise einer ist, vor der Inszenierung darüber reden. Wir sagen dies aus grundsätzlichen Erwägungen über das Thema Textänderungen. Aber alles in allem: Vielen herzlichen Dank für das gute Gelingen und den flotten Einsatz!